«Die Stiftungsgründung enthält ein grosses Versprechen: die Demokratisierung der direkten Demokratie.»

Interview mit Daniel Graf von Adrian Meyer

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Ideen entwickelt Daniel Graf im Kopf und im Gespräch mit anderen Menschen, nicht auf dem Papier. Für seine Unterschriftenplattform WeCollect existiere kein Konzeptpapier, sagt Graf, er habe einfach ausprobiert. Heute, gut vier Jahre nachdem erstmals mit WeCollect Unterschriften für eine Initiative gesammelt wurden, erwächst aus dieser Idee die Stiftung für direkte Demokratie.

 

Was bedeutet für Sie die Stiftungsgründung?

Ich spüre eine grosse Erleichterung. Die politische Verantwortung, die mir in den vergangenen Jahren via WeCollect gegeben wurde, kann ich mit dem Stiftungsrat auf mehr Schultern verteilen. Dass das geklappt hat, verdanke ich vor allem der Unterstützung von Che Wagner, der als Geschäftsleiter mithilft, die Stiftung aufzubauen. Ohne ihn hätte ich die Gründung nie stemmen können.

 

Ganz grundsätzlich, warum braucht es die Stiftung für direkte Demokratie?

Wir wollen mehr Demokratie wagen, denn unsere Demokratie ist nicht fertig gebaut. Sie weiter zu entwickeln, liegt an den Bürger*innen. Bei den Behörden, den Parteien und Organisationen hat das geringe Priorität. Zudem haben es gewisse gesellschaftliche Themen und Probleme trotz der vielen Parteien sehr schwer, auf die politische Agenda zu kommen. Damit das besser gelingt, braucht es neue Strukturen, mit denen sich Menschen einfacher und schneller organisieren können, sei es für eine Initiative oder ein Referendum. Die Stiftung will politische Projekte aus der Zivilgesellschaft unterstützen, bei uns können diese diskutiert und ausprobiert werden. Zündet eine Idee, hilft die Stiftung bei der Lancierung einer Initiative oder eines Referendums.

 

Sie ernteten Kritik, weil Sie alleine bestimmten, welche Initiativen von WeCollect unterstützt wurden. Graf habe zu viel Macht, sagte etwa der Politologe Claude Longchamp.

Das war unangenehm. Zwar wurde mir viel Vertrauen entgegengebracht. Meine politische Einstellung habe ich immer transparent gemacht. Trotzdem konnte ich nicht mehr Demokratie fordern und gleichzeitig alleine bestimmen.

 

Wie verteilt sich die Verantwortung in der Stiftung?

Dank eines Stiftungsrates mit fünf Mitgliedern und eines zusätzlichen Beirates verteilt sich die Verantwortung auf viele Schultern.

 

Sie nominierten die Stiftungsrät*innen selber. Warum liessen Sie nicht die Crowd wählen?

Ich habe von den rund 1’200 Mitstiftenden viele Vorschläge für geeignete Personen erhalten – auch für den Beirat der Stiftung –, die ich berücksichtigt habe. Beim Stiftungsrat besteht aber die Herausforderung nicht nur darin, engagierte und kompetente Einzelpersonen auszuwählen, sondern ein gut funktionierendes Team aufzubauen.

 

Nach welchen Kriterien haben Sie die Stiftungsrät*innen ausgewählt?

Sie mussten zwei Eigenschaften mitbringen: Sie sollten zum Einen radikale Demokraten sein, die wirklich den Mut haben, die Demokratie weiter zu entwickeln. Zum Anderen suchte ich Macher*innen. Menschen also, die das Handwerk der direkten Demokratie kennen und Erfahrung mit Initiativen und Referenden mitbringen. Das ist der Kern der Stiftung, Projekte möglich zu machen. Sophie Fürst, Marco Kistler, Claudio Kuster und Lucy Koechlin sind für mich die Menschen, die solche Projekte voranbringen können.

 

Entgegen Ihrer ursprünglichen Aussage sind Sie nun selber im Stiftungsrat. Warum?

Das war keine einfache Entscheidung. Ich wollte mich von der Verantwortung befreien. Aber es ist schwierig, ein solches Projekt zum Fliegen zu bringen, wenn man selber nicht im Cockpit sitzt. Es macht daher Sinn, den Stiftungsaufbau aktiv mitzugestalten, zumindest für die ersten Jahre.

 

Die Stiftung wird ein Demokratie-Inkubator. Was verstehen Sie darunter?

Wir übernehmen eine Idee aus der Welt der Start-ups. Diese werden oft von Inkubatoren bis zur Marktreife unterstützt. Die Stiftung soll politische Projekte aus der Zivilgesellschaft demokratiereif machen. Wir unterstützen dabei engagierte Bürger*innen mit Plattformen und Werkzeugen, bis die Projekte eigenständig laufen.

 

Die Stiftung will neue Formen demokratischer Mitsprache entwickeln. Was heisst das?

Ein spannendes Beispiel ist das Crowd Lobbying. Es geht darum, neue technische Lösungen oder Kampagnen zu erfinden, damit die Zivilgesellschaft bereits im Vernehmlassungsverfahren und in der parlamentarischen Beratung stärkeren Einfluss bekommt. Dort wird Politik gemacht, wie auch in den parlamentarischen Kommissionen, von denen wir in den Medien wenig hören. Crowd Lobbying schafft eine neue Schnittstelle, über die Mitglieder des Parlaments gezielt und direkt angesprochen werden können. Bürger*innen, die ein Thema auf die Agenda setzen wollen, bekommen so eine eigene Lobby im Bundeshaus. Das geht viel weiter als WeCollect.

 

Worin liegt die Macht der Crowd?

Vernetzte Bürger*innen sind bereit, «uphill battles» zu schlagen, sich also auf politische Kämpfe einzulassen, selbst wenn die Chancen zu Beginn schlecht stehen. Denn ihr Mut, sich einer Übermacht zu stellen, wird oft belohnt. Und zwar damit, dass sich einer Kampagne mehr und mehr Menschen anschliessen und ihr Momentum verleihen.

 

Sie fordern die Neuerfindung der direkten Demokratie. Das klingt für viele zunächst bedrohlich.

Wir wollen das Bundeshaus nicht abreissen. Wir wollen es zugänglicher machen. Heute ähnelt es zu stark einer Burg. Bürger*innen können es zwar in Führungen besuchen oder auf der Tribüne zuhören. Aber ganz wenige haben echten Zugang, nämlich nur Parlamentarier*innen und Lobbyist*innen. Das ist noch weit weg von der Grundidee unserer Demokratie, in der die Hürden für die Teilhabe so tief wie möglich sein sollten.

 

Die Stiftung wird die Schweiz verändern, versprechen Sie. Inwiefern?

Die Stiftung könnte es schaffen, die direkte Demokratie wieder auf die politische Agenda zu setzen, sie aus dem Museum zu holen. Ich stelle mir die Stiftung vor als Sammelbecken einer neuen, parteiübergreifenden Demokratiebewegung, welche die politische Macht gerechter verteilen will. Das wird nicht einfach, sondern erfordert harte Auseinandersetzungen. Und hier kann die Stiftung ein Rückzugsort sein, ein Fels in der Brandung im Kampf um die direkte Demokratie.

 

Was ist Ihre Vision für die Schweizer Demokratie?

In der Verfassung steht das Wort Demokratie nur zwei Mal. Ein- mal in der Präambel und einmal in Artikel 54, in dem es darum geht, dass die Schweiz im Ausland die Demokratie fördern soll. Nirgends steht, dass die Schweiz das auch im Inland tun sollte. Es braucht daher einen neuen Verfassungsartikel, damit Bund und Kantone die Demokratie pflegen und weiterentwickeln sollen. Das würde die Zukunft der Schweiz verändern.

 

Das Gespräch führte Adrian Meyer, freier Journalist. Der Text ist eine gekürzte Fassung aus dem Buch «Macht direkte Demokratie» (2020). Foto: Nicole Pont.

 

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Stiftung für direkte Demokratie

Die parteiunabhängige Stiftung für direkte Demokratie fördert die politische Partizipation der Bevölkerung. Sie unterstützt zivilgesellschaftliche Projekte, die auf Werten wie Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit beruhen.

Die Stiftung gewährleistet den Betrieb der Demokratie-Plattform WeCollect und stellt für die Lancierung von Initiativen und Referenden Wissen, Werkzeuge und finanzielle Mittel zur Verfügung. Als erste Crowd-Stiftung der Schweiz steht die Stiftung auf den Schultern einer wachsenden Community von engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Sie haben das Stiftungskapital geäufnet und finanzieren die laufende Projektarbeit mit Spenden.