Pizza-Demokratie: Wenn Unterschriften zur Ware werden

 

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In der Schweiz blüht das Geschäft mit Unterschriften. Bezahlte Sammelfirmen liefern diese heute wie Pizza auf Bestellung. Doch was bedeutet das für unsere direkte Demokratie und für das freiwillige Engagement der Bürger:innen?

Hintergrund: Am 30. Oktober nimmt die Stiftung für direkte Demokratie am Runden Tisch der Bundeskanzlei teil. Sie spricht sich für ein Verbot der kommerziellen Unterschriftensammlung aus, da eine gesetzliche Regelung fehlt, um den damit verbundenen Risiken entgegenzuwirken und das ehrenamtliche Engagement in der Schweiz zu erhalten. Mehr dazu im Anhang.

Stellen Sie sich vor, direkte Demokratie wäre so einfach wie eine Pizza-Bestellung. Sie brauchen 100'000 Unterschriften für eine Initiative oder 50'000 für ein Referendum – und Letzteres in nur 100 Tagen? Kein Problem: Einfach das Online-Formular einer Sammelfirma ausfüllen, Kreditkarte zücken, und schon werden Ihnen die Unterschriften fristgerecht geliefert. Gegen Aufpreis sogar amtlich beglaubigt und bereit zur Einreichung bei der Bundeskanzlei in Bern. Willkommen in der Pizza-Demokratie – direkte Demokratie auf Bestellung, bequem und ohne lästige Unterschriftensammlung, solange das Budget stimmt.

Geld anstatt freiwilliges Engagement entscheidet

Das ist keine Zukunftsvision, sondern Realität in der Schweiz. Unterschriftensammlung ist zu einem lukrativen Geschäft geworden. Trotz Skandalen um gefälschte Unterschriften und Strafprozesse gegen einige Firmen gibt es immer mehr Anbieter. Kein Wunder – eine gültige Unterschrift für eine Initiative oder ein Referendum bringt – gemäss Recherchen des Tages-Anzeigers – bis zu 7.50 Franken und mehr.

Viele Komitees setzen lieber auf bezahlte Sammelfirmen, statt freiwilliges Engagement zu mobilisieren. Das ist kostengünstiger, als eine eigene Organisation aufzubauen. Die Folge: Unterschriften gelten nicht mehr als Zeichen von Engagement, sondern als Dienstleistung. Für Interessengruppen mit prallen Kampfkassen wird es einfacher, Initiativen und Referenden zu starten – ein zusätzliches strategisches Werkzeug zur bestehenden Lobbyarbeit im Bundeshaus.

In der Pizza-Demokratie entscheidet nicht die Mobilisierungskraft, sondern das Budget über den Erfolg von Initiativen und Referenden. Wer genug Geld hat, kann sich politischen Einfluss kaufen – auf Kosten unserer Demokratie-Kultur.

Das Prinzip der Demokratie ist gefährdet

Die Pizza-Demokratie entzieht unserer direkten Demokratie das, was sie stark macht: das Engagement. Was früher Freiwilligenarbeit war, wird heute von Firmen übernommen. Ein Teufelskreis: Je mehr auf kommerzielle Sammlungen gesetzt wird, desto weniger Menschen engagieren sich freiwillig. Warum auch, wenn Unterschriften eine käufliche Ware sind?

Freiwillige Sammler:innen, die aus Überzeugung auf der Strasse stehen, erleben zunehmend Misstrauen, gerade nach den Betrugsskandalen. Viele Passantenfragen sich, ob sie gerade einer engagierten Bürger:in oder einer bezahlten Sammlerin ihre Unterschrift geben, und was dann mit ihren Daten passiert.

Diese Kommerzialisierung bringt zudem eine gefährliche Konzentration von Macht und Einfluss mit sich. Auf kantonaler und kommunaler Ebene, wo nur ein paar tausend Unterschriften nötig sind, können finanzstarke Akteure politische Projekte noch einfacher «einkaufen». Die Demokratie wird zum Spielplatz jener, die sich Volksrechte leisten können.

Kommerzialisierung stoppen

Wollen wir wirklich eine direkte Demokratie, die noch mehr vom Geld abhängt? Eine Demokratie, in der Initiativen und Referenden wie Pizza bestellt werden können – auf Kosten des freiwilligen Engagements? Oder setzen wir uns dafür ein, die Hürden für Volksrechte lieber zu senken und mehr Interessengruppen Zugang zu ermöglichen?

Die Pizza-Demokratie mag für einige bequem sein, doch sie bedroht das Fundament unserer Demokratie-Kultur. Es ist Zeit, die Kommerzialisierung der Unterschriftensammlung zu stoppen und unsere Demokratie auf das zu gründen, was sie stark macht: freiwilliges Engagement.

 

Runder Tisch der Bundeskanzlei zur «Integrität von Unterschriftensammlungen»

Die Stiftung für direkte Demokratie (SDD) setzt sich für ein Verbot der kommerziellen Unterschriftensammlung ein, solange es keine gesetzliche Regelung gibt. Dies fordert auch ein von 11’500 Personen unterzeichneter offener Brief an Bundesrat und Parlament im September 2024.

Anlässlich des von der Bundeskanzlei einberufenen Runden Tisches zur «Integrität von Unterschriftensammlungen» werden wir diese Position am 30. Oktober 2024 einbringen. Die Stiftung wird am Treffen folgende Punkte ansprechen:

1. Sicherheit gewährleisten

Das primäre Ziel der kommerziellen Sammelfirmen ist die Gewinnmaximierung. Sie sind weniger an der Qualität und langfristigen Integrität des Prozesses interessiert. Die Gefahr von Betrug und Unterschriftenmissbrauch ist bei ihnen höher, wie vergangene Vorfälle zeigen. Diese Praktiken schwächen das Vertrauen in die Demokratie. Die Stiftung für direkte Demokratie befürwortet ein Verbot der kommerziellen Unterschriftensammlung, da bis heute gesetzliche Regelungen fehlen, die den damit verbundenen Risiken entgegenwirken. Dies ist ein Anliegen einer Mehrheit der Bevölkerung, die sich laut Umfragen für ein Verbot des Unterschriften-Geschäftes ausspricht.

2. Freiwilliges Engagement stärken

Die Professionalisierung der Unterschriftensammlung führt dazu, dass Freiwillige auf der Strasse zunehmend mit Misstrauen konfrontiert werden. Viele Bürger:innen sehen nicht mehr den Unterschied zwischen ehrenamtlichen Sammler:innen und bezahlten Sammler:innen und zweifeln an der Echtheit des Engagements. Sollte dieser Trend anhalten, droht ein wichtiges Element des demokratischen Systems zu verschwinden. Es gilt, den Status der freiwilligen Unterschriftensammler:innen zu stärken.

3. Pilotprojekte für E-Collecting

Die SDD sieht E-Collecting als eine sichere und moderne Alternative zur herkömmlichen Unterschriftensammlung. Mit einer staatlichen E-ID könnten Unterschriften digital und anonym über offizielle Plattformen gesammelt werden, was die Transparenz und den Schutz vor Missbrauch erhöht. Die SDD plädiert für ein Pilotprojekt, das die Machbarkeit und Sicherheit von E-Collecting testet. So wird kommerziellen Sammelfirmen ihr Geschäftsmodell entzogen, während es Bürger:innen eine barrierefreie Möglichkeit zur politischen Teilhabe geboten wird.


Stiftung für direkte Demokratie

Die erste Crowd-Stiftung der Schweiz

Die Stiftung fördert die politische Partizipation der Bevölkerung und unterstützt zivilgesellschaftliche Projekte, welche sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Nachhaltigkeit einsetzen.

Gegründet 2020 als Stiftungsfonds unter dem Dach von Fondations des Fondateurs, gewährleistet die Stiftung den Betrieb der Demokratie-Plattform WeCollect und stellt digitale Werkzeug für die Lancierung von Initiativen und Referenden kostenlos zur Verfügung.

Als erste Crowd-Stiftung der Schweiz steht sie auf den Schultern einer wachsenden Community von engagierten Bürger:innen. Sie finanziert die laufenden Projektarbeit durch Spenden und Gönnerschaften.