Studie: Braucht die Schweiz einen Demokratie-Inkubator?

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Wir sind stolz auf sie − auf die direkte Demokratie. Wenigstens in diesem Punkt sind sich alle politischen Lager für einmal einig. Doch das System krankt an einem ernsten Demokratiedefizit: Das Praxiswissen fehlt. In einer Studie haben wir Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft gefragt, was in ihren Augen nötig ist, um Initativen und Referenden erfolgreich zu starten.

In einer direkten Demokratie nehmen die Bürger:innen durch die Volksrechte umfassend am demokratischen Leben teil. Soweit die Theorie. In der Praxis sind die Hürden für die politische Partizipation in der Schweiz de jure zwar niedrig, durch das Fehlen fundierter politischer Bildung de facto aber sehr hoch. Denn diesbezüglich besteht hierzulande ein Vakuum – sowohl in den Bildungsinstitutionen als auch in der Praxis.

Eine Tatsache, die sich klar negativ auf die politische Partizipation auswirkt. Denn Menschen mit eher tiefem Bildungsniveau sowie Geringverdiener:innen nehmen sehr viel seltener an Wahlen und Abstimmungen teil. Deutlich schlechter als das europäische Ausland schneidet die Schweiz auch bei der demokratischen Teilhabe junger Menschen ab. Hier zeigt sich ein Defizit, das langfristig die Legitimität der Demokratie mehr und mehr in Frage stellt.

Starthilfe für die direktdemokratische Beteiligung

Die Qualität einer Demokratie misst sich am Zustand ihrer Zivilgesellschaft. Denn ohne funktionierende Zivilgesellschaft gibt es auch keine funktionierende Demokratie. Die Mission der Stiftung für direkte Demokratie ist es, zivilgesellschaftlichen Gruppen zu ermöglichen, ihre Bedürfnisse und Interessen stärker (oder überhaupt erst) in das politische System einzubringen. Und genau hier setzt auch der «Demokratie-Inkubator» an.

In seiner heutigen Form unterstützt und begleitet er im Rahmen eines Pilotprojektes Initiativnehmer:innen von den ersten Schritten in der Planung eines Volksbegehrens bis zum Sammelstart, wobei er praxisrelevantes Wissen und konkreten Support beim Aufgleisen von Projekten zur Verfügung stellt. Seine Rolle ist es, mitzuhelfen, die Lücke zu verkleinern, die heute in Bezug auf die Partizipationsmöglichkeiten zwischen direkt-demokratischem Versprechen und Realität klafft.

Bevor wir mit voller Kraft loslegen, wollten wir − mit Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz − herausfinden, ob ein solcher Demokratie-Inkubator bei den Zielgruppen überhaupt auf Interesse stösst. Zu diesem Zweck haben wir bei Initiant:innen zivilgesellschaftlicher Projekte nachgefragt, was ein Demokratie-Inkubator können muss, damit das Angebot interessant ist und genutzt wird. Gleichzeitig haben wir mit Fachpersonen aus Wissenschaft und von NGOs gesprochen, um herauszufinden, ob sie einen Demokratie-Inkubator für ein wirksames Instrument zur Unterstützung direkt-demokratischer Anliegen halten.

Ein Baukasten für erfolgreiche Initiativen

«Reich doch eine Initiative ein, wenn's dir nicht passt!» − Es klingt so einfach: Du brauchst nur 100’000 Unterschriften in 18 Monaten zu sammeln, um dein Anliegen Volk und Ständen zur Abstimmung vorlegen zu können. Die Realität ist jedoch: Ohne grosszügige finanzielle Mittel oder starke institutionelle Unterstützung von grossen Verbänden, von Gewerkschaften oder Parteien, bleibt die Lancierung einer Initiative oft ein Wunschtraum.

Allerdings: Es gibt immer wieder zivilgesellschaftliche Projekte, deren Umsetzung gelingt. Wir wollten wissen, was es braucht, um Initiativ-Vorhaben erfolgreich ans Ziel zu bringen. Die folgenden sechs Faktoren bezeichneten alle befragten Initiant:innen als entscheidend:

  • Viel Herzblut. Denn ohne sehr viel freiwilliges Engagement hebt kein zivilgesellschaftliches Projekt ab. Nicht nur beim Sammeln auf der Strasse, sondern auch in der Schaltzentrale, bei der Planung und Umsetzung braucht es neben bezahlter Arbeit viele freiwillige Ressourcen.
  • Eine durchdachte Kampagnen-Strategie mit Weitblick. Denn eine Initiative muss einerseits die Sympathisant:innen mobilisieren und andererseits in einem Abstimmungskampf auch die Unentschlossenen überzeugen können. Eine Initiative ist kein Kurzstreckenlauf von A nach B, sondern ein Marathon bestehend aus vielen kleinen Sprints. Das braucht Durchhaltevermögen, denn je nach Erfolg der Unterschriftensammlung können 18 Monate eine lange Zeit sein. Und danach folgt eine sehr lange parlamentarische Phase, während der für Aussenstehende wenig passiert, die für die Initiant:innen aber oft nervenaufreibend ist.
  • Funktionierende und effiziente Abläufe und Entscheidungsprozesse. Ein (Träger-)Verein für eine Initiative ist in der Schweiz schnell gegründet. Doch in der Praxis machen die Abläufe und Entscheidungswege den Unterschied. Wie organisiert sich der Vorstand? Wie gross ist die Geschäftsstelle? Wer entscheidet im Ernstfall? Und wie schnell können Entscheide gefällt werden? Das sind alles Fragen, die es vorab zu klären gilt und auf die möglichst effiziente Antworten gefunden werden müssen.
  • Eine solide, verbindliche Planung. Die Bedeutung klarer Zielvorgaben, etwa hinsichtlich der Sammelquoten, darf nicht unterschätzt werden. Auch die Koordination von Freiwilligen und die Organisation der Sammeltage sind nicht zu vernachlässigen.
  • Die Vernetzung der Initiant:innen ist oft matchentscheidend. Sind zu Beginn bereits ein, zwei namhafte Träger:innen an Bord, erhöht dies die Glaubwürdigkeit und stärkt das Vertrauen Dritter in ein Projekt. Auch in der Lobby- und Medienarbeit sind persönliche Kontakte, Beziehungen und Netzwerke ein massiver Vorteil.
  • Ganz wesentlich ist auch eine Anschubfinanzierung. Denn ganz ohne Geld und ausschliesslich mit freiwilliger Arbeit lässt sich keine Initiative stemmen. Meist stehen die Initiant:innen hier vor dem Huhn-Ei-Problem: Um Geld zu verdienen, braucht es ein professionelles Spenden-Fundraising. Für den Aufbau eines professionellen Fundraisings braucht es aber wiederum Geld, das in die benötigten Ressourcen investiert werden kann. Ein Startkapital von 10’000 bis 30’000 CHF ist für den Take-off eines Initiativ-Projektes deshalb unabdingbar.

Fazit: Ein Demokratie-Inkubator ist erwünscht und nötig

Alle befragten Initiant:innen waren sich einig: Beim Start ihrer jeweiligen Projekte hat es an Vielem gefehlt, was zu Leerläufen und Verzögerungen geführt oder negative strukturelle Pfadabhängigkeiten geschaffen hat. Darunter leidet im späteren Verlauf eines Projektes nicht nur die Effizienz, sondern es führt auch zu einem Chilling effect: viele Initiant:innen lassen sich entmutigen, wodurch Projekte bereits in einer frühen Phase scheitern oder gar nicht erst angepackt werden.

Initiant:innen in spe können sich heute praktisches Demokratie-Wissen faktisch nur bei Einzelpersonen, Organisationen oder Agenturen beschaffen, die bereits selbst Initiativen und Referenden durchgeführt haben. Das funktioniert jedoch meist nur innerhalb etablierter Strukturen, wie Verbänden, Parteien etc. oder muss als Beratungsmandat eingekauft werden, was mit entsprechenden Kosten verbunden ist. Geld, das zivilgesellschaftliche Projekte zumeist nicht haben oder das, falls vorhanden, anschliessend an einem anderen Ort fehlt.

Mit dem Demokratie-Inkubator will die Stiftung für direkte Demokratie diese Lücke schliessen. Statt finanzieller Unterstützung bietet sie eine langfristige Begleitung von Projekten mittels Coaching und Vermittlung von Demokratie-Wissen an. Damit soll die Zivilgesellschaft grundsätzlich und nachhaltig gestärkt werden.

Ausschlaggebend für unseren Entscheid, das Vorhaben «Demokratie-Inkubator» weiter voran zu treiben, waren auch nicht zuletzt die Antworten der befragten Expert:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf die Frage nach dem entsprechenden Bedarf. Sie lauteten nämlich einhellig: Ein Angebot wie der Demokratie fehlt in der Schweiz und ist deshalb dringend nötig!

 

Stiftung für direkte Demokratie

Die erste Crowd-Stiftung der Schweiz

Die Stiftung fördert die politische Partizipation der Bevölkerung und unterstützt zivilgesellschaftliche Projekte, welche sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Nachhaltigkeit einsetzen.

Gegründet 2020 als Stiftungsfonds unter dem Dach von Fondations des Fondateurs, gewährleistet die Stiftung den Betrieb der Demokratie-Plattform WeCollect und stellt digitale Werkzeug für die Lancierung von Initiativen und Referenden kostenlos zur Verfügung.

Als erste Crowd-Stiftung der Schweiz steht sie auf den Schultern einer wachsenden Community von engagierten Bürger:innen. Sie finanziert die laufenden Projektarbeit durch Spenden und Gönnerschaften.

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