Editorial: Gegen den Strom

Von Daniel Graf

· Jahresbericht 2023

«Geschichte wird von Siegern geschrieben», soll Winston Churchill einmal gesagt haben. Aus meiner Erfahrung mit der Arbeit für Initiativen und Referenden möchte ich ergänzen: «Geschichte wird über erfolgreiche Projekte geschrieben». Dies als Hinweis darauf, dass wir uns im Nachhinein jeweils gerne an die Ziellinie erinnern und den ungewissen und mühsamen Weg dorthin lieber ausblenden.

Zugegeben: Siege an der Urne zu feiern, ist eine wunderbare Sache. Gerne erinnere ich mich an den Konfettiregen, mit dem wir letztes Jahr den Erfolg der Gletscher-Initiative feiern durften. Der vom Initiativkomitee unterstützte Gegenvorschlag des Parlaments hatte sich gegen ein Referendum durchgesetzt − ein wichtiger Meilenstein für einen wirksamen Klimaschutz.

Auch die Gletscher-Initiative hat klein angefangen. Mit einer Gruppe von engagierten Bürger:innen, die 2018 an einem nasskalten Tag am Fusse des Steingletschers den Verein Klimaschutz Schweiz gründeten. Die Resonanz war bescheiden, weil die Politik damals mit dem CO2-Gesetz beschäftigt war, das jedoch 2021 an der Urne überraschend scheiterte. Die Klimapolitik war damit ein Scherbenhaufen. So wurde die Gletscher-Initiative fast über Nacht zur letzten Chance, die Schweiz auf Netto-Null-Kurs zu bringen.

Initiativen, die nicht auf den Rückhalt grosser Organisationen zählen können, haben es in der Startphase oft schwer. So auch die Inklusions-Initiative, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt und die im Herbst 2024 eingereicht werden soll. Heute ist die Initiative ein breit abgestütztes Erfolgsprojekt. Am Anfang war es vor allem Islam Alijaj, der an seinem Traum einer inklusiven Schweiz festhielt, obwohl er auch Niederlagen einstecken musste. Umso mehr hat es mich gefreut, dass Islam Alijaj 2023 als erster Parlamentarier mit Cerebralparese in den Nationalrat gewählt wurde.

Sich an die schwierigen Anfänge zu erinnern, hilft dabei, auch angesichts von Kriegen, Krisen und Blockaden den Mut zu haben, um neue Initiativen zu wagen. Und sich nicht entmutigen zu lassen, wenn es von allen Seiten heisst «das ist zu früh» oder «das geht zu weit». In meiner Erfahrung sind antizyklische Projekte, die Segel setzen, bevor Wind spürbar wird, die spannendsten − und oft die wirkungsvollsten.

Gegen den Strom schwimmt auch die Initiative für eine zeitgemässe Bundesverfassung, die die Stiftung für direkte Demokratie aktuell vorbereitet. Nur wenige Beobachter:innen können sich vorstellen, dass die Schweiz auf diesem Weg den Reformstau überwinden und zu mehrheitsfähigen Lösungen kommen kann. Aber die Zahl derer, die sich engagieren, wächst, und es zeichnet sich ab, dass wir diese visionäre Initiative bald umsetzen können. Das ist für mich der schönste Moment − wichtiger noch als die Ziellinie zu erreichen.

 

 

Stiftung für direkte Demokratie

Die erste Crowd-Stiftung der Schweiz

Die Stiftung fördert die politische Partizipation der Bevölkerung und unterstützt zivilgesellschaftliche Projekte, welche sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Nachhaltigkeit einsetzen.

Gegründet 2020 als Stiftungsfonds unter dem Dach von Fondations des Fondateurs, gewährleistet die Stiftung den Betrieb der Demokratie-Plattform WeCollect und stellt digitale Werkzeug für die Lancierung von Initiativen und Referenden kostenlos zur Verfügung.

Als erste Crowd-Stiftung der Schweiz steht sie auf den Schultern einer wachsenden Community von engagierten Bürger:innen. Sie finanziert die laufenden Projektarbeit durch Spenden und Gönnerschaften.

 

Newsletter abonnieren

Spenden